03 honegger philatelie Wissenswertes

Rayon II mit voller Kreuzeinfassung

Die Kreuzeinfassungen bei den Durheim-Ausgaben (Orts-Post bis Rayon I hellblau) haben seit jeher zu den umstrittensten Punkten der Forschungsarbeiten bei den klassischen Schweizer Marken gehört. Einer der ersten Forscher, Adolf Schulze, befragte in einem Briefwechsel den Lithografen Carl Durheim in Bern, den Hersteller dieser Marken. Seine Antwort zum Vorgehen beim Druck dieser Marken und insbesondere zu den Kreuzeinfassungen war teilweise völlig falsch, sodass sich auch Baron Axel de Reuterskjöld (zusammen mit Bankier Paul Mirabeau Herausgeber des wohl berühmtesten Werkes über die alten Schweizer Marken «Die Schweizerischen Postmarken» von 1899) irreführen liess. Dieses mangelnde Erinnerungsvermögen in fortgeschrittenem Alter mag daran gelegen haben, dass Durheim nicht nur eine Druckerei führte, sondern sich vor allem seinem zweiten, eben ganz neu aufkommenden Beruf, jenem als Fotograf verbunden fühlte.

Erst Dr. Herbert Munk – sicherlich der grösste Kenner der Durheim-Ausgaben – war es vorbehalten, mit seinem Werk «Schweiz / Neue Wege zur Erforschung der eidgenössischen Ausgaben 1855 ff. im Kreuzmuster» von 1941 und den Ergänzungen und Berichtigungen von 1950 die Fakten zu ordnen und richtig zu stellen.

Seine Arbeiten galten der Rekonstruktion der verschiedenen Drucksteine, von denen man (bald 90 Jahre nach der Herausgabe!) praktisch noch keine grosse Ahnung hatte. Einen besonders grossen Aufwand hat er für die Kreuzeinfassungen betrieben, von denen uns hier für einmal jene bei den gelben Rayons interessieren. Das Problem dabei war, dass man es hier mit eigentlichen Weltraritäten zu tun hat, von denen es nur ganz wenige überhaupt gab. Umso erstaunlicher ist es, dass er in ganz wenigen Jahren recht viele dieser gelben Rayons mit vollständiger Kreuzeinfassung zu Gesicht bekam und vielfach auch fotografisch festhalten durfte. Die grössten Sammler seiner Zeit unterbreiteten ihm bereitwillig ihre diesbezüglichen Stücke für seine Studien.

Die Rekonstruktion der verschiedenen Drucksteine war bei ihm damals noch nicht abgeschlossen. Diese Arbeit wurde nach seinem Tod 1973 mit dem Rayon II-Bestimmungsbuch von Ernst Müller (mit Unterstützung des Fonds zur Förderung der Philatelie) vollendet.

Mich hat seit langem immer gestört, dass es über die effektiv bekannten und nachgewiesenen Stücke der gelben Rayons mit voller Kreuzeinfassung lediglich vage Vermutungen oder aber nur unvollständige Angaben gab. In den letzten rund 40 Jahren habe ich aus diesem Grunde die mir greifbaren Stücke festgehalten. Eine grosse Hilfe für diese Dokumentation waren nebst den selber verkauften Exemplaren insbesondere auch Auszüge aus dem Archiv von Dr. Munk und die bedeutendsten Auktionskataloge der letzten 100 Jahre. Überdies ist mir das Archiv der Firma Corinphila freundlicherweise ebenfalls zur Verfügung gestellt worden, in welchem auch die Attestkopien der Prüfer Hunziker und Rellstab enthalten sind.

Die Sichtung all dieser Daten hat viele Monate gedauert. Die Bestimmung der Drucksteine und der verschiedenen Untergruppen war aufgrund einzig und allein einer (meist unscharfen Katalog) Foto keinesfalls immer einfach. Etliche Stücke musste man auch ganz weglassen, weil es sich nach heutigem Wissenstand um klare (Ver-)Fälschungen handelte. Meist wurden diese zwar schon vor Jahrzehnten mit einem Fragezeichen versehen. Aber ohne, dass man den genauen Beweis dafür erbringen konnte.

Wenn ich nachstehend eine Aufstellung sämtlicher bei uns bis heute registrierten Stücke bringen möchte, so bedenken Sie, dass diese Liste (wie alle ähnlichen Bestandeslisten) überhaupt keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann. Es mag oder wird immer wieder einmal neue Stücke geben, die noch nicht erfasst sind. Sollten Sie selber über welche verfügen, wäre ich um die Zusendung einer guten Foto (wenn möglich mit Attestkopie) sehr dankbar, damit die Aufstellung à jour gehalten werden kann.

Vorkommen der Rayon II mit vollständiger Kreuzeinfassung

Wie dies Dr. Munk bereits vermutet hat, kennen wir diese Marken von den beiden Drucksteinen A1 und A3.

Aus der folgenden Liste ersehen Sie, dass es von beiden Drucksteinen Bogenfelder gibt, die zweimal vorkommen. Damit ist erstmals der Nachweis erbracht, dass es mindestens zwei Bogen von beiden Drucksteinen mit voller Kreuzeinfassung gegeben haben muss.
Da der Stein A1 in Form von zwei 40er Gruppen gedruckt worden ist, gibt es theoretisch 2 x 80 Marken oder total 160 Stücke des Steines A1 mit voller Kreuzeinfassung.

Der Stein A3 ist hingegen in 4 Gruppen à je 40 Typen gedruckt worden. Demzufolge beträgt die theoretische Auflage der Rayon II mit voller Kreuzeinfassung dieses Drucksteines 320 Stück.

Mit andern Worten: die vollen Kreuzeinfassungen des Steines A1 sind theoretisch doppelt so selten wie jene des Steines A3!
Schauen wir, wie dies konkret aussieht:

Bislang bekannte Stücke Rayon II mit voller Kreuzeinfassung:

 

Stein A1    
Stein A1O 4 gestempelt 1 Briefstück
Stein A1U 8 gestempelt 4 Briefe
Total  17 Typen bekannt
  
     
Stein A3    
Stein A3LO 10 gestempelt davon ein Paar 1 Brief

Stein A3LU 6 gestempelt 1 Briefstück mit Paar
Stein A3RO 1 gestempelt 1 Brief mit Dreierstreifen
Stein A3RU 2 gestempelt 1 Brief
Total 26 Typen bekannt  

              
Anmerkungen:
Nach meiner persönlichen Erfahrung dürften heute von allen Rayon-Marken noch rund 8% erhalten geblieben sein. Ob es nur 6% oder aber 10% sind, kann man diskutieren. Mit jedem weiteren Jahr schwindet die Chance, dass bislang noch unbekannte Archive entdeckt werden und auf den Markt kommen. Deshalb werden sich neue Entdeckungen wohl in Grenzen halten. In obigen Zahlen sind einmal publizierte oder geprüfte Stücke enthalten. Aber auch noch darin enthalten sind Stücke, die möglicherweise die Wirren der Weltkriege oder Brände usw. nicht überlebt haben. Uns selber ist 2011 auf dem Postweg in die USA eine solche Rayon II mit voller Einfassung gestohlen und nach Angaben des Diebes vernichtet worden! Die obige Zahl bekannter Stücke müsste also um solche Verluste vermindert werden.
Bei den Briefen des Steines A1 fällt auf, dass diese zahlreicher sind, als man aufgrund der Häufig - keitsverhältnisse A1:A3 vermuten würde. Die Erklärung ist aber einfach: bei allen (allen!) vier Briefen handelt es sich um solche von Grandson an Herrn R. Charbonnier in Aubonne! Natürlich ist es ein Zufall, dass sich in einem einzigen Archiv so viele dieser Weltraritäten befunden haben und ebenso, dass dieses Archiv überhaupt auf den Markt gekommen ist! Ähnliche Häufungen kennen wir auch bei andern Marken. Erinnern möchte ich nur an die Basler-Tauben-Briefe aus dem Ryhiner-Archiv oder jene an Herrn Riggenbach in Basel oder aus Genf an die vielen Briefe an Minister Claparède oder die reizende Familienkorrespondenz von Madame Barrilliet an ihren Sohn im Internat Naville in Vernier oder etwas später an die Orts-Post-Briefe an Fräulein Zell - weger in Bischofszell. Solche Archive können – wenn sie denn überhaupt einmal auf den Markt kommen – rein statistisch zu Verzerrungen der erwarteten oder anzunehmenden Häufigkeitsverhältnisse führen.

 

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