03 honegger philatelie Wissenswertes

Die grosse Retouche im 98. Bogenfeld der Zürich 6

Auch nach gut 170 Jahren seit Ausgabe der ersten Zürcher Marken kann man es erleben, dass allgemein anerkannte und als richtig befundene Erkenntnisse plötzlich ins Wanken geraten!
Selbst einer der sicherlich besten Kenner der alten Zürcher Marken, der seinerzeitige Kurator des Postmuseums in Bern (heute = Museum für Kommunikation), Jakob Gnägi, ging wahrscheinlich
davon aus, dass dieses Bogenfeld bei der Zürich 6 auf dem Druckstein von Anfang an mit dem grossen Fehler links oben, der sogenannten «grossen Retouche» versehen gewesen sei. Dabei
hat er zweifelsohne Hunderte von Zürich-6-Marken durchgesehen. Dies anhand der grossen Bestände im Postmuseum und dann auch im Zuge der Erarbeitung seiner heute noch wegweisenden
Festschrift «Die Zürcher Kantonalmarken von 1843» zur nationalen Ausstellung Naba in Zürich 1984. Und bestimmt hat er ein besonderes Augenmerk auf diesen grössten aller Plattenfehler bei
der Zürich 6, eben der 98. Marke, gelegt.

Richtig wäre an sich – wie Jakob Gnägi schon schreibt –, dass man hier von einem Steinfehler spricht. Gedruckt wurde ja ab einem Lithografiestein – und nicht ab einer Platte. Aber diesen Ausdruck
«Plattenfehler» hat man auch bei den nachfolgenden Durheim-Ausgaben beibehalten und deshalb scheint es wenig Sinn zu machen, dies heute noch ändern zu wollen.

In meiner mehr als 50-jährigen beruflichen Beschäftigung mit den klassischen Schweizer Marken habe ich sicherlich einige Dutzend Exemplare dieses 98. Bogenfeldes in Händen gehabt. Aber immer – in mehr als 50 Jahren also! – habe ich auf diesem Bogenfeld die «grosse Retouche» oben links vorgefunden! Bis neulich, als mir eine Zürich 6 angeboten worden ist, die die Feldmerkmale der 98. Marke aufwies, aber……ohne die bislang immer vorhandene «grosse Retouche» oben links! ( = Los 15 Katalog Honegger 2017).

Nun, beim genauen Studium des Stückes erkennt man an der Stelle, wo sich sonst die erwähnte Retouche befindet, keine Anzeichen einer Retouche, aber eine Fehlstelle im Druck. Ganz ähnlich,
wie bei jener in der 39. Marke. Dieser Fehler muss wohl unmittelbar nach Herstellung des Arbeitssteines, mit dem dann der Druck der Marken erfolgt ist, entstanden sein. Möglich, dass hier ein Gegenstand auf den Druckstein fiel und diese Beschädigung des schwarzen Linienfeldes verursacht hat. Die sehr grobe Flickarbeit weist (erneut nach Gnägi) darauf hin, dass hier kein Fachmann,
also kein Lithograf an der Arbeit war. Man hat den Fehler wohl erst in der Druckerei bemerkt und dort versucht, ihn zu beheben. Man kann sicher davon ausgehen, dass diese «Flick - arbeit» auf dem Druckstein sehr bald nötig geworden ist. Möglicherweise schon nach dem Druck der ersten Bogen, die man ja immer besonders kritisch begutachtet. Wir wissen, dass die «grosse Retouche» nur einmal im 100er-Bogen vorkommt. Demnach ist sie 100x seltener als eine gewöhnliche Zürich 6. Bei einer mutmasslichen Auflage von rund 1800 Bogen à 100 Marken der Zürich 6 (gemäss Studie Gnägi, Senn) und der Annahme- dass die 98. Marke ohne Retouche allenfalls nur wenige Male vorkommt, so wäre diese 98. Marke ohne Retouche demzufolge unvergleichlich viel seltener als das 98. Bogenfeld mit der grossen Retouche.

Stadium 1

96.1

Stadium 2

96.2

Stadium 3

96.3

Stadium 4

96.4

 

In seinem grossen und äusserst fundierten Artikel zum 100 Jahre-Jubiläum der ersten Schweizer Marken ging Max Hertsch in der Berner Briefmarkenzeitung vom Februar 1943 auf diese 98. Marke ein und zeigte unter anderem Bilder von verschiedenen Retouchen. Beim ersten Stück könnte man darauf schliessen, dass dort die Fehlstelle oben links wohl vorhanden, aber noch nicht überarbeitet worden sei. Die Foto ist zu wenig deutlich, um dies klar sagen zu können. Er hingegen bezeichnet auch diesen Zustand als retouchiert. Also müssen wohl kleine Korrek - turen vorgenommen worden sein. Jedenfalls schreibt er, dass ihm noch keine 98. Marke ohne Retouche bislang zu Gesicht gekommen sei.

Ist dies nicht ein lebender Beweis dafür, dass man auch nach mehr als 170 Jahren immer noch interessante Entdeckungen bei unseren klassischen Schweizer Marken machen kann? Machen Sie
sich auf die Suche! Während des Druckverlaufs wurde diese «grosse Retouche» wohl einige Male neu überarbeitet, weil sich der «Flick» durch den Druck veränderte, abschwächte. Es dürfte reizvoll
sein, verschiedene Zustände zusammen zu tragen, denn es gibt ja nicht sonderlich viele interessante Plattenfehler oder Retouchen bei der Zürich 6, die so augenfällig in Erscheinung treten.

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